Manifest

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Vorbemerkung

Der Inhalt dieser Zeilen stammt nicht von SozialphantastenInnen, sondern von Bürgerinnen und Bürgern, die bisher ein hohes Vertrauen in die österreichischen Institutionen hatten. Die Abschiebung eines Flüchtlings in geordnete Verhältnisse ist ein Vorgang, mit dem jeder Asylwerber rechnen muss. Aber …

Wie es begann

Der Bund trat mit der Bitte an die Gemeinden heran, Asylplätze zu schaffen. Zahlreiche Gemeinden und Privatpersonen wurden aktiv und stellten Plätze zur Verfügung. Ein Dorf strengt sich an und will ein positives Beispiel im Asylthema setzen.

Die ersten Asylwerber kommen bei uns an. Wider Erwarten werden sie sehr offenherzig aufgenommen. Das mediengeprägte Bild vom „Asylanten“ wandelt sich zum Menschen, der um Schutz und Unterstützung bittet. Fernab von Asylzentren erfahren wir aus erster Hand, was hier tatsächlich vorgeht. Wir erkennen die Not, die Traumata und wir realisieren Unmenschlichkeit und Willkür während der Flucht und die unsägliche Bürokratie.

Unsere neuen Mitbürger sind gut ausgebildete, weltoffene junge Männer, die in der Gemeinde mithelfen und mitarbeiten, wo immer sie gefragt werden. Eine Welle der Solidarität geht durch unser Dorf. Es starten breite, integrative Aktivitäten (von der Pfarre bis zum Fußballverein). Das Bedürfnis, diesen Menschen Halt und damit wieder etwas Würde zu geben, ist groß. Schutz und sicherer Aufenthalt – glaubten wir – wäre die Aufgabe des Bundes. Doch dem ist nicht so.

Der Fall „Ibrahim“ als Beispiel

„Ibrahim“, studierter Physiker und Maschinenbauer, erlebt den Bürgerkrieg in Altal- City nähe Damaskus. Täglich birgt er zerfetze Leichen, Frauen und Kinder. Er wird zum Militär eingezogen. Jetzt ist er in dieser katastrophalen Situation, auf die eigenen Mitbürger schießen zu müssen. Wer sich weigert, wird standrechtlich erschossen. Er bringt seine Frau in Sicherheit und flüchtet Richtung Europa. Er hat in Syrien gut verdient, aber die Schlepper kosten ein Vermögen.

Die Flüchtlingsgruppe von „Ibrahim“ bestand aus 4 Personen, die gemeinsam die Flucht Richtung Deutschland wagten. Bei allen wurden in Griechenland und Serbien die Personaldaten erfasst und Fingerabdrücke genommen. In Ungarn wurden sie inhaftiert. Nach der Odyssee begann das Martyrium.

Zur Unterschrift gezwungen

Die Behörden in Ungarn forderten die Flüchtlinge auf, ihre Unterschriften unter die ungarischen Dokumente zu setzen. Sie weigerten sich, da sie in einem sicheren Land um Asyl bitten wollten. Darauf wurde die Gruppe mit 20 Personen in einen 3×3 Meter großen Käfig gesperrt – ohne Essen und Trinken. Zum Urinlassen wurde lediglich eine
leere Flasche in den Käfig gereicht. Nach 18 Stunden wurde den ersten z. Teil unter Schlägen ihre Unterschrift abgepresst, andere unterschrieben dann „freiwillig“. Angetrieben von diesen Grausamkeiten gelang der Gruppe die Flucht nach Österreich, wo sie einen Antrag auf Asylverfahren stellten.

Zufälle, Willkür beim Asylstatus

Zwei der vier Flüchtlinge erhielten von Österreich den Asylstatus zuerkannt, die sogenannte weiße Karte. „Ibrahim“ und der vierte die grüne Karte (Dublin Fälle), in der Folge somit den Abschiebebescheid nach Ungarn.
Eigenartig – wurden doch alle vier erstmals in Griechenland, dann in Serbien, Ungarn und letztlich in Österreich erfasst. Dann muss auch für alle 4 derselbe Staat zuständig sein. Dafür gibt es – auch auf Nachfrage – keine Erklärung.
Kein Protokoll – aber weitreichende Folgen

„Ibrahim“ erhielt auch darum einen Abschiebebescheid, weil ihm unterschiedliche Aussagen zwischen der ersten und zweiten Einvernahme bezüglich der Stellung seines Asylantrages zur Last gelegt werden und seine Angaben damit unglaubwürdig seien.

Das Protokoll seiner Ersteinvernahme wurde ihm nicht ausgehändigt. Somit hatte er nie die Möglichkeit, auf Unrichtigkeiten und Auslassungen hinzuweisen. Das Protokoll muss ihm laut Gesetz verständlich gemacht werden und binnen 24 Stunden ausgehändigt werden. Dieser kleine Formalfehler hatte aber für die Beurteilung des Falles weitreichende Konsequenzen – „Ibrahim“ gilt als unglaubwürdig und erhält einen abschlägigen Bescheid!

Kettenabschiebung – „das ungarische Roulette“

Es ist jedem Erstaufnahmeland untersagt, Asylwerber weiter „Richtung Heimat“ zurück zu schieben, da Gefahr droht, dass Flüchtlinge durch weitere Kettenabschiebungen in ihr Fluchtland – in Ibrahims Fall nach Syrien in den sicheren Tod – zurück deportiert würden. Sogar in Ibrahims Abschiebebescheid ist ausdrücklich vermerkt: „Wenn sich im Einzelfall ergeben würde, dass Grundrechte z.B. durch Kettenabschiebung bedroht sind“, so ist das Verfahren in Österreich durchzuführen. Derartige, verbotene Kettenabschiebungen durch die ungarischen Behörden sind Fakten, die international dokumentiert sind.
Die Behörde selbst hält im Bescheid fest, dass bei dieser Bedrohung nicht abgeschoben werden darf und tut es trotzdem.

Kerker statt Flüchtlingsbetreuung

Ein weiteres dokumentiertes Problem ist die Inhaftierungspraxis des ungarischen Staates im Flüchtlingswesen. Das Völkerrecht, das Unionsrecht sowie verfassungsgesetzliche Grundrechte in Österreich verbieten es, Asylwerber in Gefängnisse zu sperren bloß weil sie einen Asylantrag gestellt haben. Asylwerber sind keine Kriminellen. „Ibrahim“ wird in Ungarn ohne Verfahren grundlos im Gefängnis landen – für mindestens ein halbes Jahr, Erniedrigung und Zwangsarbeit inklusive. Dort werden ganze Familien samt Kleinkindern einfach in Gefängnissen eingesperrt. In Ungarn ist das normal.

Unhaltbare Zustände in Ungarn, Rumänien und Bulgarien

Die von Ibrahim erlebten Vorfälle sind in Ungarn leider keine Einzelfälle. Das belegen
zahlreiche Berichte der UNHCR, des Menschenrechtsbeauftragten des Europarates, des deutschen Außenministeriums, namhafter Flüchtlingsorganisationen und NGOs. Zahlreiche Gerichtsurteile in verschiedenen europäischen Ländern – darunter auch ein Österreichisches – untersagten das Rückschieben von Asylwerbern in diese Länder, weil die Verhältnisse dort unmenschlich sind.

Das Dublin-Abkommen

Das Dublin-Abkommen regelt die Rückführung der Asylwerber. Eine Vorbedingung für dieses Abkommen wäre aber, dass in den Ländern entsprechende Einrichtungen zur Betreuung vorhanden sind. Erst dann kann rückgeführt werden.
Derzeit passiert das Verkehrte. Derzeit wird abgeschoben, obwohl etliche Länder nicht vorbereitet sind. Insbesondere Österreich schiebt Schutzbedürftige in unwürdige Verhältnisse zurück, obwohl die Missstände hinlänglich bekannt sind. Unsere Verwaltung fühlt sich im Recht und Beamte glauben, das Richtige zu tun. Aber man zuckt mit den Achseln: „ … ist halt ein Dublin-Fall, das ist halt so …“. Wer dies erkennt, wird zum Mitschuldigen.

Ein Dorf wehrt sich

Wir haben uns intensiv mit dieser Abschiebepraxis beschäftigt. Aus den zahlreichen Berichten der UNHCR, des Europarates und aus den Urteilen verschiedener Gerichte in Österreich und international ziehen wir unsere Schlussfolgerung:

  • Eine Abschiebung in die genannten Länder birgt ein hohes Risiko durch unberechtigte Inhaftierung, menschenunwürdiger Behandlung, Kettenabschiebung und weiterer Traumatisierung.
  • Wer derzeit dorthin abschiebt, nimmt wissentlich fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen in Kauf und bricht damit die Europäische Grundrechtscharta (insb. Artikel 4 und 6).
  • Wer sich schützend vor abzuschiebende Asylwerber stellt, bricht kein Gesetz – im Gegenteil – sie/er verhindert eine Handlung, die zu einer Grundrechtsverletzung führen kann.

Da Schutz und Sicherheit durch die unmenschliche Abschiebepraxis nicht gewährleistet ist, sind wir bei „Rückführungen“ in Länder wie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Italien gezwungen, unsere Asylwerber auch gegen die eigenen Bundesbehörden zu schützen. Die Gemeinschaft von Alberschwende stellt sich dem Bruch von Grundrechten entgegen. Es ist unser Recht, ja unsere staatbürgerliche Pflicht, Unrecht zu verhindern.

Kollateralschäden in unserer Zivilgesellschaft

Die nicht gerechtfertigten Abschiebungen in unsichere Länder verursachen – neben der erneuten Traumatisierungen von Schutzsuchenden – erhebliche Kollateralschäden in den eigenen Reihen. Die Frustration und personelle Fluktuation in den beauftragen Institutionen (z. B. Caritas) ist hoch. Sozial Engagierte halten diese Heuchelei und Unmenschlichkeit nicht lange aus.

Bei uns im Dorf wird dieses sinnlose und erneute Herausreißen von Schutzbedürftigen aus dem sozialen Kontext als Unrecht, als Anschlag auf die Menschlichkeit, als Angriff auf unsere Bemühungen empfunden. Daher diese breite und klare Reaktion. Der Unmut an der Basis ist groß – in vielen Gemeinden, nicht nur in Alberschwende!

Das Vertrauen in unsere Institutionen ist tief erschüttert. Wir verlieren das internationale Ansehen, eine humanitäre Gesellschaft zu sein. In der Ungarn-Krise
1956, in der Tschechoslowakei-Krise 1968 und in der Polenkrise 1981/82 waren wir das. In einer der größten humanitären Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg versagen wir, um fremdenfeindlichen, „verstrachten“ Elementen zu gefallen.

Alberschwende tut als Dorf und Gemeinschaft, worum wir gebeten wurden:

  • Jenen, die uns anvertraut werden, Unterkunft und Integration zu bieten
  • Ihnen durch dörfliche Aktivitäten sozialen Rückhalt zu geben, aber sich auch
    schützend vor sie zu stellen, wenn die Situation dies erfordert
  • Ihnen die Sicherheit zu bieten und nicht schon morgen wieder entwurzelt und
    erniedrigt zu werden

Mehr kann ein kleines Dorf in diesem europäischen Dilemma nicht tun. Die Wenigen, die bei uns stranden, zumindest die sollen die Aussicht auf ein gerechtes Asylverfahren in einem sicheren Land haben. Ein Dorf, das einen Hermann Gmeiner – Gründer der SOS-Kinderdörfer – hervorgebracht hat, hat diesen sozialen Anspruch. Diesen Anspruch lassen wir uns nicht kaputtverwalten, kaputtschieben.

Wenn der Status „Bundesasyl“ nicht mehr vor Unmenschlichkeit schützt, dann tun wir dies mittels „Gemeindeasyl“ – konsequent und nachhaltig. Die Kreativität von Gemeinde und Pfarre im zivilen Gehorsam ist groß! Hierzu sei der Artikel 1 unserer Bundesverfassung zitiert: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Sie werden erwartet in Alberschwende – Sie oder ihre Meinung, ihre Unterstützung!

Für die Gemeinde – Bürgermeisterin Angelika Schwarzmann
Für die Pfarre – Pfarrer Peter Mathei
Für die Kulturmeile Alberschwende (im Namen verschiedener Vereine und engagierter Mitbürgerinnen und Bürger) – Dr. Erich Schwarzmann
Für die VMS – Direktor Thomas Koch

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Diese Schreiben erging schriftlich an die folgenden Empfänger:

Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
Parlamentspräsidentin Doris Bures – mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständigen Unterausschüsse
Innenministerin Dr. Johann Mikl-Leinter
Minister f. Integration Johannes Kurz
Justizminister
Österreichischer Gemeindebund
LH Mag. Markus Wallner
LR Ing. Erich Schwärzler

Bischof Benno Elbs

UNHCR
Menschenrechtsbeauftragter des Europarates
Delegationsleiter der österr. Europaabgeordneten mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständigen Ausschüsse im Europaparlament

Österreichische Caritas
Diakonie
Verein für Menschenrechte
Asyl in Not (Dr. Genner)
Verein Vindex
Amnesty International
Pro Asyl – Deutschland

Presse:
VN
ORF – Vorarlberg, mit der Bitte um Weiterleitung an den aktuellen Dienst in Wien und an die Redaktion von Kreuz und Quer
Kultur
Vorarlberger Kirchenblatt
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